
Wie es weiterging am erwachten Ziegelhof
So um das Jahr 1931 kam endlich Leben in die sonst bis dahin so "gottverlassene Gegend". Mitte 1931 waren es 19 Mitglieder im Seglerverein, die dort lebten und wirkten. Das eigentliche Umland der Ziegelei wurde jetzt spärlich beackert. Auf dem Stammgelände passierte wenig, denn dort gab es außer Wiesen und Brachland kaum ertragreiche Böden. Die Mitglieder des SVW, Alfred Hädel und Heini Svensson, machten mit Ernst Borcherding die ersten Pachtverträge, die später auch in Kaufverträge umgewandelt wurden. Heinrich Svensson baute sich ein Wochenendhaus dort und Alfred Hädel holte sein Boot von Kundes Grundstück weg. Handwerklich begabt wie er nun einmal war, nahm er eine scharfe Säge, sägte das Boot in Längs- und Querrichtung auf, vergrößerte es in allen Ausdehnungen, und fertig war seine neue Bleibe für zwei Erwachsene und drei Kinder. Zur gleichen Zeit kaufte Theodor Wulf in der Hansestraße einen großen Holzschuppen, zerlegte ihn mit Hilfe seiner Sportkameraden vom Ballspielverein Vorwärts (BSV), dem Vorgänger des heutigen VfB Lübeck, und verfrachtete den ganzen Holzbau einschließlich aller Türen und Fenster per Eisenbahnwaggon auf ein Abstellgleis in Brandenbaum. Der hilfsbereite Bauer Reimers aus Herrnburg fuhr das ganze Material zum Bauplatz an der Brandenbaumer Landstraße (damals Nummer 184, heute 138).
Die Brandenbaumer Landstraße selbst sollte damals als Heeresstraße ausgebaut werden. Deshalb baute er sein Haus schon damals in respektvoller Entfernung vom Straßenlärm, etwa 80-100 Meter von der Hauptstraße entfernt. Vater Wulf, der Vater des Autors dieser Festschrift, war arbeitslos, aber dessen Mutter hatte eine lukrative Reinmachestelle. Holz war für die Wulfs genug da, aber es mangelte natürlich an Ziegelsteinen für Trennwände, Fundament und Ausmauerungen. Richard und Fritz Wulf, die beiden Söhne von Theo Wulf, trugen deshalb zu der Zeit immer einen Maurerhammer samt Arbeitsschürze im Schul-Tornister mit sich herum, wenn sie zur Marienschule am Langen Lohberg trotteten. Nach Schulschluss ging es dann zum Burgfeld, wo Großvater Wulf schon wartete, und sie holten sich die Abbruchsteine aus den schon vorher beschriebenen Lazarett-Baracken. "Wir takelten damals alles ab, was gemauert war", so Richard Wulf heute. Dann kam der Fuhrmann Schmidt aus der Burgkoppel mit Pferd und Wagen, das war der Opa von Karin und Karl-Egon Hartmann, und schaffte uns die ganze steinerne Herrlichkeit vor die Baustelle. Bald war das Haus errichtet!
Eines Tages waren Vater und seine Sportkameraden gerade beim Dachnageln, als Oberbaurat Dr. Heßbeler kurzerhand den ganzen Bau stilllegte. Das war schon nach 1933 und in einer Zeit, in der man nicht lange fackelte! Vater Wulf rief in seiner Not einen Vetter zur Hilfe, der in leitender Position im Bau- und Polizeiamt der Stadt Lübeck arbeitete. Bau- und Polizeisenator Schröder kam mit einem noblen Horch-PKW samt Fahrer herangerauscht und besichtigte das bemängelte Bauwerk. Alle befanden das Machwerk jedoch ohne Tadel gebaut und gaben deshalb den Bau wieder frei. Zur gleichen Zeit bauten auch die Familien Schaller, Hädel und Svensson auf dem Pachtland von Ernst Borcherding, der damals den Hof "Kaninchenberg" bewirtschaftete. Die Pacht für eine Parzelle betrug damals 5 Reichsmark im Monat. Die Häuser wurden einfach in die freie Botanik gesetzt, und das ohne elektrischen Strom, Wasser, Gas oder die heute üblichen Innen-Toiletten. Häuschen mit Herz im Garten waren damals angesagt, und Abwasserleitungen sowie Straßen oder Verkehrswege gab es am "Ziegelhof" nicht.
Die ersten Siedler bauten in der heutigen Straße "Am Schaar" und hatten wie auch die Wulfs Probleme mit dem Bau. Bausenator Schröder musste den Oberbaurat Dr. Heßbeler häufiger in die Schranken weisen. Dieser wurde zum unerwünschten Gast in der Siedlung und glänzte durch seine selbstherrliche Art. Er galt vor Ort als "kleiner Hitler". Dafür musste er dann später beim Einmarsch der Engländer 1945 seinen Hut nehmen. Jetzt wurde der Ziegelhof für "kleine Leute" zunehmend interessanter. Nach und nach kamen die Familien Bauer, Herbert Jimmi Schildpat, Hans Boye, Bruno Pingel, Fritz Frank, Karl Frank, Ewald Malonn und Ewald Klenow.
Kleine Häuser wurden von ihnen gebaut und mit Begeisterung bewohnt. Der Beamte Bruno Müter errichtete damals als erster gleich ein massives Haus mit einem bewohnbaren Obergeschoss. Die Häuser waren alle schmucke Gebäude von außen, blieben aber zunächst aus heutiger Sicht ohne großen Innenkomfort. Es gab keine Bäder, und wie schon gesagt, auf dem Hof stand überall ein "Plumsklo". Ein Nagel von 5 Zoll Länge durch die Wand geschlagen, und schon war der Toilettenpapierhalter fertig. Übrigens, Papier für die "hinterlistigen Zwecke" machte man aus der Tageszeitung, die man in handliche Stücke zerteilte. In der Siedlung Brandenbaum gab es seit den 1920er Jahren eine Siedlungsgemeinschaft, darüber haben wir bereits berichtet, die uns damals als geradezu beispielhaft erschien.