
Die Brandenbaumer Landstraße „Die Hauptschlagader"
Die Brandenbaumer Landstraße war für uns immer so eine Art "Hauptschlagader" des ganzen Geschehens um uns herum. Sie reichte für uns von der Waldersee Straße bis hin zum Grenzgraben vor Herrnburg. Die Straßenmitte bestand aus dem so typischen Teerbelag und war dazu noch klassisch rund gebaut. Alles sah immer sehr gepflegt aus, links ein Sommerweg aus reinem Sand für Pferd und Wagen, hauptsächlich für die "24 Spann" von Lauerhof mit ihren eisenbeschlagenen Rädern, und auf der rechten Seite verlief ein Radfahrweg oder Fußweg. Dieser Seitenpfad wurde damals von beiden Verkehrsteilnehmern benutzt. Auf der linken und rechten Seite der Straße und ganz außen prangte eine unendliche Reihe von Kastanienbäumen.
Vom Soldaten- bis zum Dreifelder-Weg gab es auch noch links daneben einen zusätzlichen Fußweg bis hin zu den "Alten Häusern", so hießen sie damals, die Bauten von der Hausnummer 147-171. Alle anderen Seitenstraßen firmierten damals unter dem Begriff Brandenbaumer Landstr. 188 oder Brandenbaum-Ziegelhof, wie z.B. Schäferstraße, Schanzenweg und die Straße Am Schaar. Wie schon gesagt waren diese Seitenwege überhaupt nicht ausgebaut, wobei Am Schaar und Schanzenweg noch nicht einmal eine Befestigungsdecke aufwiesen. In der Schäferstraße lag früher als Unterbau der Ziegelschutt der Ziegelei. Diese drei Straßen mussten von den Anliegern in gemeinsamer Arbeit hergerichtet und instandgehalten werden. Irgendwann war dann "großer Arbeitsdienst" angesagt, und man legte einen Fußweg mit großen Feldsteinen als Begrenzung in der Schäferstraße an, damit die jungen Familien mit ihren Kinderwagen einigermaßen bequem fahren konnten. Die umliegenden Felder wurden hauptsächlich von den Justizbehörden und ihren Häftlingen bearbeitet. Das war die ganze Fläche der "Finnlandsiedlung", hauptsächlich als Kartoffelland.
Ganz Eichholz war früher Weideland, auf dem die 50-60 Milchkühe samt eines kräftigen Bullens von Lauerhof weideten. Alle hatten vor diesem letztgenannten einen gehörigen Respekt. Der höher gelegene Teil von Eichholz und das Land links vom Kaninchenbergweg bis zur Pappel-Allee war Roggenanbauland. Vom Dreifelder Weg bis etwa hin zur Tankstelle waren Wiesen, die das nötige Heu lieferten. Alle diese eben genannten Flächen liegen auf der rechten Seite der Landstraße. Hinter den "Alten Häusern" und von dort bis zu den Denkmalstannen war Roggenland, hinter dem Denkmalswald bis zur Eisenbahnstrecke und hinter den Häusern von Nr. 205 bis 259 waren teilweise auch Anbaugebiete mit Weizen und Gerste anzutreffen. Im Hof Brandenbaum hatte die Justizvollzugsbehörde eine Schweinemästerei eingerichtet, in der ein Schweinemeister (so nannten wir ihn damals) Herr Liersch das Borstenvieh mästete.
Kleinere Flächen wurden von Bruhns bearbeitet, der im Hause Schäferstraße 12 wohnte. Sein Grundstück trug damals die Bezeichnung Brandenbaumer Landstraße 186. Dieser Mann bewirtschaftete auch das Grundstück Brandenbaumer Landstr. 131 samt einiger Wiesen bei Huntenhorst und ins Mecklenburger Land. Die "Nazis" hatten den ehemaligen Feuerwehrmann 1933 des Dienstes enthoben, weil er nicht in die NSDAP eintreten wollte. Familie Bruhns hatte ein Pferd, eine Kuh und viele Hühner und Schweine. Sie konnten sich damals nur schlecht und recht über Wasser halten. Es waren die direkten Nachbarn von Theo Wulf und seiner Familie. Man hatte ein recht freundschaftliches Verhältnis miteinander, so wie es eigentlich auf ganz "Ziegelhof" unter Nachbarn üblich war. Frau Bruhns half den Wulfs immer beim Schweineschlachten. War das immer ein Fest!! Auch pflügte Herr Bruhns deren Kartoffel- und Roggenacker.
Dann gab es auch noch Familie Zarnow. Sie besaßen eine Scheune am Berg vor dem trigonometrischen Punkt und wohnten im Haus Nr. 165 direkt an der Landstraße. Sie bewirtschafteten das halbe Krögerlandgebiet und besaßen ein Pferd und eine Kuh. Sowohl das Pferd als auch die Kuh waren dünn, genauso wie der alte Bauer Zarnow selbst. Das Pferd war klein und schwarz, und es ließ ständig seine Zunge seitlich aus dem Maul hängen. Zarnow hatte die schlechtesten Böden der gesamten Gegend zu bewirtschaften, weshalb sein Roggen den Spitznamen "Zittergras" erhalten hatte. Die Bewohner der alten Häuser hatten auch kleine Anbauflächen von etwa 20 bis 30 Ruten, damals die Maßeinheit für Fläche. Frau Hardt sollte auch erwähnt werden. Sie hatte einen kranken Mann und einen Sohn und eine Tochter. Ihr kleines Feld lag ungefähr dort, wo heute der Eichhörnchen-Weg verläuft. Sie bewirtschaftete die Böden alleine und hatte einen Stall mit vielen Hühnern und Kaninchen, den wir "Löwenkäfig" nannten. Auf dem Ziegelhof selbst war nur Herr Bruhn als selbstständiger Landwirt tätig. In der Brandenbaumer Landstraße 169 arbeitete damals auch Herr Baunack. Er hatte einen Lastfuhrbetrieb mit einem Anhänger als Kühlwagen. Seine Frau betrieb das dritte Bein des Hauses, ein Fahrradgeschäft, bis der Sohn den Fuhrbetrieb übernahm und Baunack sich mehr dem Fahrradgeschäft widmen konnte.
Zarnow mit seinem "Schwarzen" (Pferd) und Bruno Dibbert mit seinem Baugeschäft waren die nächsten Nachbarn. Dibberts Frau bekam den Spitznamen "No", weil sie als gebürtige Sächsin dieses Wort bei jeder Gelegenheit benutzte. Sie war die Wirtin der "Siedlerquelle", die Anfang der dreißiger Jahre aufgrund von Geldmangel nur wenig besucht wurde. Die Siedler sparten damals jeden Pfennig, um wenigstens zu Weihnachten etwas zum Anziehen für ihre Kinder kaufen zu können. Später schloss sich Kupaß den Siedlern an, ein "fliegender Händler", der meistens auf Weihnachts- und Jahrmärkten als Aussteller mit "Türkischem Honig" und "Zuck-Zuck" anzutreffen war. Im Sommer verkaufte er mit seiner Frau "Lecker-Eis" und fuhr zu den Ringreiter-Festen und anderen Veranstaltungen, um etwas zu verdienen. Im tiefen Winter schnitt und holte er sein Stückeis aus der Wakenitz und bewahrte es bis zum Sommer in seinem selbstgebauten Eiskeller auf dem Grundstück Schanzenweg Nr. 4 auf. Die Siedler hatten damals alle Fahrräder, außer Heini Svensson, der schon 1936 eine 500er BMW mit Beiwagen fuhr, und Kupaß hatte als fahrbaren Untersatz seinen Eistransporter.
Alles, was man einkaufen oder erwerben wollte, musste man zu Fuß oder mit dem Fahrrad transportieren. Es waren lange Wege, denn der nächste Laden war der Konsum im Heiweg 32, dann "Krämer Prange und Groth" am Rund und die Drogerie Thiele in der Marlistraße/Bertramshof. Diese waren für damalige Zeiten fortschrittlich, da sie bereits eine Zapfsäule für Benzin hatten. Etwas weiter entfernt befand sich der Kaufmann Asmussen, ungefähr dort, wo früher der Eingang zur Marli-Kaserne war. Unterhalb von Asmussens Laden links befand sich das Fahrradgeschäft von Schwaß, zu dem wir auch die Akkus unserer Radiogeräte brachten, wenn sie leer waren. Damals bestand ein Radio aus vier Teilen: dem verstellbaren Spulkasten, dem Lautsprecher oder Kopfhörer, dem Akku für den Strom und der Anodenbatterie. Alle drei bis vier Wochen musste der Akku also aufgeladen werden.
Ab 1936 bis 1937 wurde dann der Volksempfänger eingeführt, ein ca. 25 cm breiter Holzkasten mit ca. 45 cm Höhe. Die gesamte modernere "Klönkiste" kostete damals 75 Reichsmark. Später kam als Radio-Neuerung das "Göbbels - diese Schnauze", das kleiner war (etwa 20 cm breit und 30 cm hoch) und bereits aus Bakelit bestand, für nur 40 RM. Mit diesen Geräten sollte das Volk nicht nur Musik hören, sondern auch politisch geschult und auf den NSDAP-konformen Standpunkt gebracht werden.
Egal was man aufstellte, es war vergebliche Mühe, auch nur einen anderen oder ausländischen Sender empfangen zu können. Etwas weiter in der Marlistraße hatte Schlachtermeister Werk seinen Laden, übrigens die Eltern von Frau Schaller, die heute in der Straße Am Schaar wohnt. Als Verkäuferin stand hier Frau Kosziak hinter dem Ladentisch, vom Diestelberg 32. Nicht zu vergessen war natürlich die Drogerie Hormann in der Marlistraße/Ecke Werderstraße, bei der man auch Baumaterialien wie Zement und Kalk kaufen konnte. Wenn nötig, brachte uns Fuhrmann Schmidt von der Burgkoppel den Sand zum Bauen. Zuerst mit seinen beiden Pferden und später schon mit einem Lastkraftwagen. Schwiegersohn Karl Hartmann, der Vater von Karin Schomann und Karl-Egon Hartmann, fungierte bei ihm als Fahrer. Die eben genannten Zeitgenossen hatten alle "stationäre Geschäfte". Die fahrbaren Lieferanten waren die Milchhändler, darunter auch die Brüder Warkenthien aus Herrnburg. Besonders Herrmann sei hier zu nennen, denn er war Junggeselle und sehr scheu. Offensichtlich hatte er Angst vor Frauen und wurde deshalb wohl auch oft von ihnen zum Narren gehalten. Eines schönen Tages holte nun Waldemar Ackermann Milch vom Wagen der Warkenthien-Brüder, und die wissbegierigen Siedlerfrauen wollten unbedingt von ihm wissen, ob seine Frau einen Sohn oder ein Mädchen zur Welt gebracht habe. Waldemar, ein ausgemachter Witzbold, antwortete auf die drängenden Fragen der Frauen: "Nun ist es raus, der Junge hat Marie" und verschwand lachend um die Ecke. Als Milchmann kam auch noch Böttcher aus der Blankstraße und Hannes Holm aus der Brandenbaumer Landstraße klingelnd in die Siedlung. Alle hatten ein Pferd vor ihren Wagen und nannten sich stolz "Holländer", ein vornehmer Ausdruck für Milchhändler aufgrund ihres nahrhaften und sauberen Gewerbes. Nach Kriegsbeginn 1939 und 1940 wurden ihre Pferde zum Hilfsdienst eingezogen und so mussten sich auch die fahrenden Milchhändler ein stationäres Ladengeschäft einrichten. Somit wurde "Hanning" Holm, so nannte ihn seine Frau, unser aller Milchhändler. Milchkauf war in den meisten Jahreszeiten überhaupt kein Problem, nur in den kalten Winterwochen bekamen wir angefrorene Grützmilch. Milchmann Böttcher hat an manchen kalten Tagen seine Milch in der Küche im Haus der Familie Theodor Wulf aufgetaut. Brot wurde von Gottfried Neumann von der Lüdersdorfer Mühle einmal wöchentlich ans Haus gebracht.
Dessen Bäcker-Kastenwagen hatte hinten einen angebauten Tritt, damit man besser in den Kastenaufsatz kam. Auf diesem Tritt saßen wir damals als Schulkinder gern als Mitfahrer und fuhren gemütlich nach Hause. Wenn einer von uns krank wurde, war das nicht weiter problematisch. Dr. Pümeier wohnte und praktizierte in der Marlistraße, nahe Am Schewenbarg. Solange man seinen Kopf noch hochhalten konnte, musste man sich zu allen Tages- und Nachtzeiten "hinschleppen". Wenn es gar nicht anders ging, kam er mit seinem Auto angefahren und half so gut er konnte. Pillen gab es so gut wie gar nicht, und die Ärzte schrieben ihre eigenen Rezepturen in für uns unleserlicher Schrift auf den Rezeptzettel. Wir alle eilten zur Apotheke in der Roeckstraße Ecke Parkstraße und gaben das Rezept ab. Wir gingen erst, wenn die entsprechende Salbe angerührt oder uns gesagt wurde, wann der "Zauberkram" fertig war und zur Abholung bereitlag. Das Siedlungsleben im Winter war nicht gerade angenehm, denn Schnee hatten wir früher meistens mehr als heute. Besonders früh morgens, wenn die Väter zur Arbeit oder die Kinder zur Schule mussten, war es schlimm. Die Landstraße, unsere Hauptverkehrsader, wurde nicht vom Schnee geräumt, sondern nur die Rad- und Fußwege. Das erledigte der Noch-Landwirt Kalbau vom Bertramshof mit einem hölzernen Schneepflug, der von einem Pferd gezogen wurde. Aufgrund der zunehmenden Kasernen- und Wohnblockbauten waren seine landwirtschaftlichen Anbauflächen im Laufe der Zeit immer kleiner geworden. Aus finanziellen Gründen musste er sogar im Frühjahr die Frostschäden in der Brandenbaumer Landstraße, Marlistraße und Walderseestraße mit Teer ausbessern. Besonders schlimm wurde es in Brandenbaums Breiten bei Glatteis, da dort überhaupt nicht gestreut wurde.
Die Kinder zogen alte Socken und "Plünnen" über ihre Schuhe oder banden sie fest und machten sich auf den Weg zur Schule. Pünktlich um 8 Uhr begann der Unterricht, und es gab einfach keine schulfreien Tage aufgrund schlechten Wetters. Im Sommer, wenn die Klassenzimmer über 26 Grad Celsius heiß waren, ging es zum Schwimmen in die Marli-Badeanstalt. Neben ihren Schulranzen hatten alle Kinder einen Beutel dabei, in dem sich Turnschuhe, Turn- und Badesachen sowie andere Kleidungsstücke befanden. Unterrichtsausfall aufgrund von Winter- oder Sommerwetter gab es also genauso wenig wie das Argument "Ich habe meine Sportsachen oder Badesachen vergessen!" Auch die Lehrer waren so gut wie nie krank und mussten nicht für Seminare den Unterricht unterbrechen - sie waren meistens oder immer präsent. Die Klassengröße betrug 45 bis 50 Kinder, und Schüler aus der Siedlung hatten einen Schulweg von mindestens einer Stunde zur Marli-Schule. Im Winter und bei schlechtem Wetter konnte der Schulweg auch mal 90 Minuten dauern. Wer damals zu spät zur Schule kam, erhielt sofort eine Strafarbeit. Der Rückweg gestaltete sich jedoch wesentlich angenehmer, da das heutige Wohnblock- und Kasernengelände früher ein Kleingartengebiet war. Dort konnte man herrlich herumstreifen, was den Heimweg zeitlich erheblich verlängern konnte. Die natürliche Konsequenz war, dass wir oft viel zu spät nach Hause kamen und dafür eine Strafe erhielten. Wenn um 12:00 Uhr der Unterricht endete, hatten wir Glück und konnten im Gleichschritt mit der ersten Wachablösung der Soldaten von den Schießständen nach Hause marschieren. Dann waren wir meistens zu früh zu Hause. Wenn die Wachmannschaften entlang der Landstraße marschierten, vorbei an der dicken Eiche und der Krebskuhle, den Schießständen und weiter, senkten wir immer unsere Köpfe und lauschten dem gleichmäßigen Schritt der beschuhten Füße. Die glänzenden Stiefel im Wechsel der Schritte aus der Hundeperspektive fanden wir damals sehr beeindruckend und faszinierend. Vor lauter Begeisterung bemerkten wir oft nicht einmal, wenn die Soldaten einen anderen Weg nahmen, nämlich durch den Soldatenweg und den Heiweg. Dann mussten wir auf unserem Nachhauseweg an der Krebskuhle vorbeigehen, wo es immer viel zu sehen gab. Dort gab es zahlreiche Frösche, Fasanen, Tauben und andere Lebewesen.
Auch wurde ein Netz im Graben gespannt, um zu verhindern, dass die Fische aus der Krebskuhle in die Wakenitz gelangen konnten. Dieses Netz wurde regelmäßig überprüft und zusammen mit dem Soldaten-Umweg war es ein weiterer Grund für Verzögerungen beim Nachhausekommen. Im Winter wurde viel gerodelt und Schlittschuh gelaufen. Es gab drei Arten von Schlittschuhen. Eine Art wurde seitlich am Schuh festgeschnallt und zusätzlich mit einem Lederriemen befestigt. Eine andere Art waren die "Hackenreisser", die mit speziellen Klammern vorne an der Sohle und hinten an der Ferse mit einem speziellen Schlüssel befestigt wurden. Wenn man es besonders gut hatte, befestigte man seine Schlittschuhe direkt unter den Stiefeln mit Schrauben. Wir aus der Siedlung konnten uns solchen Luxus leider nicht leisten. Dennoch hatten wir viel Spaß auf dem Eis und spielten oft Eishockey auf den überfluteten Wiesen, auf der Schapwasch und auf der Wakenitz. Wenn es nach dem eisigen Frost geschneit hatte, mussten wir natürlich zuerst den Schnee wegschaufeln. Auf der Krebskuhle durften wir nicht herumlaufen, da es dort warme Quellen geben sollte und niemand wollte einbrechen. Im Winter wurde es in der Siedlung schwierig, wenn eine Frau dort entbinden sollte. Mutter Griepsch musste dann von weit weg vom Moltke-Platz geholt werden. In den dreißiger Jahren wurden übrigens über 80% aller Kinder im eigenen Haus oder in der Wohnung geboren. So entstand damals der Spruch: "Wer fegt dort bei Sturm und Wind? Es ist die Hebamme, die schon wieder ein Kind holt." Die Siedler hatten alle einen Ofen in ihrem Wohnzimmer, und oft war es auch das sogenannte "gute Stube". Bei Richard Wulf, dem Autor dieser Zeilen, wurde sie zum Beispiel nur an Weihnachten von der Familie genutzt. Man heizte drei Tage zuvor im Wohnzimmer, damit es recht gemütlich war. Ansonsten spielte sich das gesamte Familienleben in der Küche ab.
Ein großer Luxus für den "kleinen Mann" war die Grude, die Tag und Nacht brannte und zumindest an normalen Werktagen die Küche warm hielt. Brennmaterial wurde bei jeder möglichen Gelegenheit im Wald oder im Brook gesammelt. Alle Siedler waren fleißig beim Bauen, sei es ein Schuppen oder ein Stall und so weiter. Dabei fiel natürlich viel Abfallholz an. Brennmaterial für den Winter wurde einzeln beim Kohlenhändler Schulz, Ecke Burgkoppel/Pensebusch, abgeholt. Manchmal wurden die Kohlenhändler auch über eine Sammelbestellung der Industrie bezahlt, und der Betrag wurde dann wöchentlich vom Lohn der Arbeiter in der Siedlung abgezogen. Für Rentner oder Menschen mit wenig Geld gab es von der NSV (Nationalsozialistische Volksfürsorge) Bezugsscheine. Wenn man im Büro dieser Organisation im Bedarfsfall auftauchte, musste man zuerst immer mit dem "Deutschen Gruß" grüßen, nämlich mit "Heil Hitler".
Es soll sich folgende Geschichte in diesem Zusammenhang zugetragen haben: Ein alter Rentner kam zur NSV und wollte einen Bezugsschein für zwei Zentner Koks haben! Er trat ein und grüßte mit "Moin-Moin"! Die zuständige Amtsdame, die so gegrüßt wurde, erklärte ihm, dass sie keine Bezugsscheine für Koks habe und ob er den deutschen Gruß nicht kenne. Er antwortete, dass er ihn nicht kenne, aber wenn dieser gut sei, würde er gerne einen Bezugsschein über zwei Zentner erhalten. Es war einfach herrlich, auf dem Ziegelhof zu leben, denn dort spürte man wenig von Gesetzen und Verordnungen, und Staat und Stadt ließen den Bürgern mehr oder weniger ihren gewohnten Lebensrhythmus.
Man zahlte nur eine geringe Grundsteuer, die Versicherungen waren nicht zu teuer, und da man nicht ans öffentliche Netz angeschlossen war, entstanden kaum andere Kosten. Die meisten Siedler hatten ihr Wasser aus dem eigenen Bohrbrunnen, einige wenige aus dem Ringbrunnen. Natürlich wurde auch fast alles, was benötigt wurde, in eigener Arbeit hergestellt. Zum Beispiel hatte Richard Wulfs Vater den Bohrbrunnen und auch die Pumpe dazu in der eigenen Küche. Schlechter war es jedoch mit den "Goldeimern" im separaten Häuschen, weit abseits des Wohnhauses im Gelände. Wenn man sich im Winter in solch einer Toilettenhütte hinsetzen wollte, musste man zuerst den Schnee vom Sitzbrett entfernen. Den vollen Eimer entleerte damals manch einer direkt am Haus in die Jauchegrube oder vergrub alles in einer angemessenen Tiefe. Diese Eimer mit gefrorenem Inhalt mussten nicht selten im Winter am offenen Holzfeuer aufgetaut werden.
Abwasser aus dem Haus wurde in Eimern gesammelt und einfach im Garten verteilt. Müll gab es kaum, und alles, was verderblich war, wurde an die Tiere verfüttert oder kam auf den Komposthaufen. Alles, was brennbar war, wurde verbrannt, und Altmetallhändler sammelten jeden Monat alle Metalle ein. Der verbleibende Rest und Glas wurden einfach in die "Grußkuhle" geworfen, so nannte man früher die Mülldeponie.
Eine Grußkuhle befand sich in der Brandenbaumer Landstraße, Ecke Kirschenallee, eine weitere in etwa dort, wo heute die Spieringshorster Straße verläuft, und eine weit entfernte in der Geniner Straße. Einwegflaschen kannte man früher nicht! Bier-, Limonaden- und Saftflaschen waren meistens pfandgeschützt und wurden zurückgegeben. Kunststoffe gab es bis auf wenige Ausnahmen kaum, und Lebensmittel wurden lose gekauft und in Tüten abgewogen. Senf wurde meistens in der eigenen alten Tasse ohne Henkel geholt. Marmelade wurde in Weckgläsern beim Kaufmann gekauft, und Milch wurde grundsätzlich in dafür vorgesehenen Kannen geholt. Es fiel also, wie bereits gesagt, kaum Abfall an, und somit war auch die heutzutage so notwendige Müllabfuhr überflüssig.
Jede Art von Asche aus dem eigenen Haus kam auf den Komposthaufen oder wurde gleich aufs Land gestreut und umgegraben. Im Winter war Asche natürlich ein beliebtes Streumittel. 1935 kam der erste elektrische Strom in die Haushalte am Ziegelhof, und dies war hauptsächlich Alfred Hädel zu verdanken, der damals Elektriker bei der Lübecker Firma Robrahn war. Richard Wulfs Vater konnte sich aufgrund anderer wichtiger Anschaffungen am Haus und der erforderlichen Dreibein-Mastung für die Stromleitung am Haus den Strom erst 1938 leisten. Die Wulfs erhielten sofort 380 Volt Strom und betrieben damit ihren Herd und später auch die Pumpe mit Wasserdruckkessel. Das war ein wichtiger Fortschritt! Einige wenige hatten bereits Flaschengas zum Kochen, und den meisten Siedlern in städtischer Abgeschiedenheit dienten Petroleum- oder Karbidlampen als Lichtquelle.
...und auch elektrischer Fortschritt ließ sich nicht mehr aufhalten.
Man begann in diesen Jahren damit, sogenannte Aufputz-Installationen mit I-Rohren für die Verteilung elektrischer Energie in den Zimmern zu verlegen. In jedem Raum wurde eine Steckdose und eine Lichtquelle installiert. Der Hausanschluss war mit 10 Ampere abgesichert, während für die anderen Bereiche damals noch 4-6 Ampere ausreichten. Mit Ausnahme des Wohnzimmers gab es Glühlampen mit einer Helligkeit von 15 Watt, die damals aufgrund ihrer Form einfach Glühbirnen genannt wurden. Im Wohnzimmer befand sich in der Regel eine Kartonleuchte mit einer 25-Watt-Glühlampe in der Mitte und drei bis fünf Schalen darüber, die jeweils mit einer 15-Watt-Glühbirne bestückt waren. Um Strom zu sparen, drehte man bei Nichtbenutzung eines Teils der Lichtquellen die Glühlampen einfach aus der Fassung. Der erste Tag des Einschaltens war ein richtiger Festtag! Die ständige Suche nach Streichhölzern hatte endlich ein Ende. Es gab auch elektrische Bügeleisen zum Bügeln der Wäsche. Anzüge waren in den meisten Haushalten damals eher selten anzutreffen. Stattdessen verwendete man glühende Holzkohle, die in das hochklappbare Bügeleisen gelegt wurde, oder man schob vorgeglühte Eisenkeile in speziell angefertigte schwere Eisengestelle.
Von 1937 bis weit in den Sommer 1939 hinein wurde in und um Lübeck herum intensiv militärisch aufgerüstet. Jeder vernünftig denkende Mensch in Deutschland wusste spätestens zu dieser Zeit, wie die Lage war. Kasernen schossen wie Pilze aus dem Boden. In Hubertus, Blankensee, Vorwerk, der Schwartauer Allee, auf dem Travemünder Priwall und vielen anderen Orten konnte man sie hochwachsen und expandieren sehen. Die ersten Luftschutzbunker entstanden an zentralen Orten in Lübeck. Die Rüstungsindustrie wurde immer größer und expansiver. Die LMG am Hafen baute Minensuchschiffe, die Flender-Werft U-Boote, die Deutsche Waffen- und Munitionsfabrik in Schlutup produzierte Munition in verschiedenen Arten und Größen, die BLM im Glashüttenweg fertigte Gewehre und die Dornier-Werke, ebenfalls am Glashüttenweg, bauten Flugzeugteile.
Die Dräger-Werke in der Moislinger Allee stellten Gasmasken her, einschließlich einer sogenannten "Volksgasmaske" für die breite Öffentlichkeit, sowie Tauchretter für U-Boot-Fahrer und Lüftungsanlagen für Schutzbunker aller Art. Alles wurde in Richtung Kriegsproduktion gelenkt. Es begannen bereits Luftschutzübungen, bei denen die Menschen lernten, ihre Räume während der Dunkelheit abzudunkeln. Überall wurden riesige Mengen an Getreide eingelagert, wobei große Schulhallen, Turnhallen und Hafengebäude genutzt wurden. An der Untertrave wurden große Silos und Lagergebäude errichtet, und bereits 1938 wurden die ersten Einschränkungen bei Lebensmitteln eingeführt. Karten mit kleinen Abschnitten für den Bezug von Lebensmitteln aller Art wurden gedruckt und für den "Tag X" gelagert. Schulz & Co. an der Tremser Weiche in Lübeck produzierte Gasmaskendosen, Kochgeschirr, Blechteller und andere Artikel, die für das kommende "Kriegsspiel" notwendig waren. Die Wesloer Straße wurde einfach gesperrt und in die DWM-Munitionsfabrik integriert.
Um nach Schlutup zu gelangen, musste man nun einen weiten Umweg über die Travemünder Allee und vorbei an der Schlutuper Wiek machen. Gleich nach Kriegsbeginn 1939 begann man mit dem Bau des Ortsteils Eichholz. Die Straßen wurden nach berühmten Fliegern des Ersten Weltkriegs benannt, wie z. B. Richthofenstraße, Bölkestraße, Uhdestraße usw. In diesem Bereich sollten dienstverpflichtete Ausländer wohnen, weshalb ein großer Zaun um diese Häuser errichtet wurde. Der Schrankenwärter Krellenberg an der Brandenbaumer Landstraße erhielt eine Bahnhaltestelle für die Arbeiterinnen und Arbeiter, die täglich nach Schlutup mussten. Nach dem Bombenangriff der britischen Flieger auf Lübeck vom 28. auf den 29. März 1942 wurden auch viele Lübecker, die durch Bomben aus ihren Wohnungen vertrieben wurden, dort untergebracht. Teilweise mussten die Betroffenen sogar ihre halbfertigen Wohnungen selbst fertigstellen. Das "Steinlager" wurde errichtet, in das zunächst Marine-Soldaten einzogen, die nach wenigen Tagen plötzlich Tropenuniformen trugen und nach Afrika versetzt wurden. Es wurden immer mehr Gebäude dieser Art in unserer Siedlung errichtet, also begann es auch bei uns in "Krögerland". Plötzlich liefen hier Polen herum, die wir an dem auf ihren Mänteln oder Jacken aufgenähten Buchstaben "P" erkannten. Ab 1942 gesellten sich auch Russen dazu, die ein Schild mit der Aufschrift "Ost" tragen mussten, um sie zu kennzeichnen. Krögerland selbst wurde hauptsächlich von einer Baufirma aus Aachen errichtet. Es wurde sogar eine evangelische Kirche in Barackenform an der Brandenbaumer Landstraße gebaut, etwa an der Stelle, wo heute die Hausnummer 132-134 zu finden ist.
Von nun an wurden auch bei uns die Häuser mit verstärkten Betondecken gebaut, wie man uns erklärte, um sie vor Brandbomben und kleineren Bomben zu schützen. Es wurden Abwasserkanäle in die Landstraße verlegt, jedoch wurde der Ziegelhof aus unbekannten Gründen nicht angeschlossen. Übrigens mussten wir, wie es damals überall üblich war, mit wenig sanitären Annehmlichkeiten auskommen. In einer Zinkbadewanne, die mit zuvor auf dem Herd oder im Waschkessel erhitztem Wasser gefüllt wurde, wurde jeder, vom Kleinkind bis zum Erwachsenen, in Reihenfolge abgeschrubbt oder gebadet. Dies geschah jedoch nur einmal pro Woche, entweder am Samstag oder am Sonntag. Die Unterwäsche wechselte man damals auch nur einmal pro Woche, in der Regel am Samstag. Etwa 1938 wurde die erste Straßenbeleuchtung in der Brandenbaumer Landstraße installiert. Sie reichte vom Soldatenweg bis zum Dreifelder-Weg und bestand lediglich aus Glühlampen mit einer maximalen Leistung von 60 Watt. Die Laternen standen in einem Abstand von 60 bis 75 Metern voneinander entfernt, weiterhin gab es keinerlei Straßenbeleuchtung.
1938 eröffnete Hubert Rosenthal in der Brandenbaumer Landstraße 69 ein richtiges Lebensmittelgeschäft. Er war bei dem Lebensmittelgroßhändler Willi Damm in der Lübecker Hundestraße beschäftigt, und seine Frau kümmerte sich um den Laden. Wir Kinder hatten viel Spaß mit ihr. Sie war bereit, alles zu verkaufen, was wir haben wollten! Sie schrieb auf, was sie nach ihrer Meinung nicht kannte oder einfach nicht vorrätig hatte. Wir bestellten "Haumiblau" oder "Morsproppen". Sie konnte das nicht verstehen und natürlich auch nicht besorgen, denn es waren Lakritzprodukte, die wir umgangssprachlich als Kinder so nannten.
Später gesellte sich Familie Michaels in der Nummer 67 mit einem Tabakladen hinzu. Herr Michaels arbeitete bei der Straßenbahn und seine fleißige Frau führte den Laden. Man konnte auch Fahrkarten für die städtischen Verkehrsbetriebe bei ihr kaufen. Obwohl alle Siedler einen schönen Garten angelegt hatten, wurden auf den abgeernteten Feldern Kartoffeln nachgestoppelt, Kornähren gesammelt und vieles mehr. Dies geschah nicht nur zur eigenen Ernährung, sondern auch für die Haustiere, da viele Mitbürger Kaninchen, Schweine, Ziegen, Schafe, Geflügel usw. hielten. Manche sammelten auch Bucheckern im Rittbrook, die sie an einer Sammelstelle abgaben und dafür Margarine erhielten.
Es war also damals eine echte Plackerei bei all diesen lebenswichtigen Aktivitäten, und das Erbeutete musste oft in großen Mengen mit dem eigenen Fahrrad oder sogar auf dem Rücken nach Hause transportiert werden. Wer erinnert sich noch daran? Die Bucheckern wurden damals oft von Hand ausgelöst und entweder im wöchentlichen Kuchen mitgebacken oder in der Kaffeemühle gemahlen. Kornähren wurden zum Dreschen in einen normalen Sack gesteckt, zugebunden und dann mit einem Knüppel darauf geschlagen. Wenn eine günstige Brise wehte, konnte man anschließend buchstäblich die Spreu vom Weizen trennen. In der Zwischenzeit wurde auf Krögerland immer mehr gebaut und herumgewerkelt. Die kleineren Behelfshäuser wurden als Robert-Ley-Häuser bezeichnet, benannt nach dem Reichsminister für das Straßen- und Bauwesen, Robert Ley. Diese Häuser wurden auch in "Hohewarte" gebaut, hauptsächlich für "bombengeschädigte Mitbürger". Man gab den Straßen auf Krögerland damals Namen wie Musketierweg, Grenadierweg, Füselierweg, Funkerweg usw.